Terroristen blockieren Staudamm- Projekt und Ernten

Ouagadougou/Wetzlar/Gießen. “Wir können nicht mehr dort ernten. Noch nicht einmal säen. Die Terroristen haben die Gruppen der Peulhs, der Rinderhirten, gegen die Bauern ausgespielt und nun haben die Bauern seit langer Zeit keinen Zugang mehr zum Tikato- Staudamm“. Mit dieser schrecklichen Hiobsbotschaft überraschte der 93 jährige Pastor David Ouedraogo die TIKATO-Delegierten gleich am Ankunftstag in der Hauptstadt Ouagadougou. Der alte Herr hatte sich 150 Kilometer auf die Reise gemacht, um Heidi J. Stiewink und Wilhelm Wilmers detailliert zu informieren. Sie selber wären als Weiße nun durch die Terroristen zu sehr gefährdet, wenn sie sich wie üblich in diese seit 1974 nahezu als heimatlich empfundene Region begeben hätten. Maislieferungen der Terroristen als Bestechungs- und Hilfsmittel waren mit Waffen gemischt bei den Hirten angekommen; persönliche Bedrohungen seien an der Tagesordnung, so der langjährige Freund David. Der aber „sich unerschrocken in der Hand “ meines Gottes weiß“. Frauen werden gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Der Chef der traditionellen Muslime ist geflohen, weil der extreme Islam der Terroristen nicht sein Glaube ist. Es gibt Christinnen in Pissila, die ein Kopftuch tragen, damit sie nicht verfolgt werden. Der Chef der Peulh sei übergelaufen zu den Terroristen, manche reden von seiner Ermordung. 1.6 Millionen Flüchtlinge haben bisher ihre Heimat im Norden verlassen müssen, leben teilweise in Zelten, auch in der Region des Staudamms

Der Terror sorgt für Entsolidarisierung des Volkes

Der  Bericht des Pastors bot gleich das Spiegelbild eines zerrissenen Landes, das sich bis 2016 durch eine starke solidarische Zivilgesellschaft auszeichnete, die in Frieden und gegenseitiger Wertschätzung trotz verschiedenster Religionen und zahlreicher Ethnien seit Jahrhunderten zusammen lebten. Doch Terroristen gelingt es, Angst und Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen  zu säen. Das galt es für die Wetzlarer erst einmal zu verdauen. Wilhelm Wilmers hatte bei zwei Reparaturen am Staudamm 80 jährig selber Hand angelegt und Steine geschleppt. Heidi Stiewink war bei 20 Reisen stets dort inmitten 500 Einheimischer gewesen. Der Kindergarten ist keiner mehr: Viele Binnenflüchtlinge aus der nördlichen Region haben dort und im Ausbildungszentrum stattdessen eine „Wohnstatt“ gefunden. Auch die Schule haben die Terroristen geschlossen….Es wächst eine Generation ohne Bildung heran, die einst mühsam errungen wurde

Bewaffneter Sicherheitsdienst für Wetzlarer

Zwei Wochen lang war das Wetzlarer Team wie üblich im Gästehaus des Kirchenbüros (ODE) untergebracht. Allerdings war es das erste Mal, dass nachts ein bewaffneter Wächter das Appartement bewachte. “Ein Gefühl, das fassungslos macht“, so Wilhelm Wilmers angesichts des Gewehrs. Direktor Etienne Bazie dankte in der Konferenz bei ODE den beiden für ihren Mut, „trotz Covid 19 und angesichts der drohenden Terrorgefahr in Burkina Faso die Reise zu uns angetreten zu haben.“ Das habe Seltenheitswert, wenn die Partner so viel Treue und Solidarität zeigen, so der Pastor und Agraringenieur. Er geht nun in den Ruhestand und ihm folgt als Executivsekretär  Alain Bako, Ingenieur für Ländliche Entwicklung und seit 2008 Mitarbeiter von ODE.

Neue Einsichten bekam die TIKATO-Vorsitzende durch persönliche Gespräche mit dem EU-Botschafter Wolfram Vetter und dem deutschen Botschafter Dr. Andreas Pfaffernoschke im Blick auf die Euro-Deutsch- afrikanischen Beziehungen. Eine private Einladung in die beiden Residenzen vertiefte gegenseitige Informationen. Von der langjährigen, knapp 50 jährigen TIKATO-Partnerschaftsarbeit und dem Wetzlarer Spendenaufkommen waren beide sehr beeindruckt.

Große Erfolge: Blühendes Land- Zweite Mühle angeschafft-Baumpflanzung

Pro Jahr erreichen mehr als 80.000 Euro das Evangelische Kirchenamt für die TIKATO-Projekte im Sahelland Burkina. Die von zahlreichen Spendern und Kirchengemeinden unterstützten Projekte konnte nun unter ODE-Begleitung nach drei Jahren Reisepause endlich  begutachtet werden. Mit  wirbelnden Tänzen und Comedie, Freudengesängen und traditionellen Zeremonien wurden die Gäste in jedem Ort begrüßt. Wie sehr ihre Region, ihr persönliches Umfeld, ihre Zukunft und die ihrer Kinder  sich durch die Ausbildung im ökologischen Landbau, in der Handhabung von Micro-Krediten und der Transformation von Gemüse und Obst in haltbare Ware sich entwickelt hatte, wurde den TIKATO-Projektpartnern in Ladiou, in Sandogo (Projekt PARI-KN mit Brot für die Welt) in dankbaren Worten vermittelt: “Die Menschen hier haben endlich wieder eine Zukunft und Zuversicht“, so ODE-Außenmitarbeiterin Esther Kabore. Dass nun in Ladiou bereits eine zweite Getreidemühle angeschafft werden konnte und Frauen geübt die Maschinerie bedienen, ist ein großer Erfolg. Die Frauen zahlen alle einen kleinen Anteil beim Mahlen ihrer Produkte. Die Kirchengemeinde Braunfels hatte Ladiou eine Kollekte zukommen lassen, die den Kauf von acht Säcken Reis ermöglichte, die das ODE aus TIKATO-Geldern auf zehn erhöhte. Pfarrer Sven Seuthe hatte einen ermutigenden Brief an die Frauen geschrieben, die Heidi Stiewink dann verlas. Große Freude!

Die herrschte auch in Sandogo im Bereich der Aufforstung: da hatte auf Initiative von Pfarrer Jörg Süß der Wetzlarer Bezirk Kreuzkirche im Dezember 2021 die Pflanzung von 800 Bäumen durch das Engagement des Bücherturms ermöglicht. Wer einmal das Glück der Menschen über eine solche Investition in der sonst kargen, dürren Region erlebt, wird es nicht vergessen! Auf den Feldern von vier Hektar bauen ökologisch 25 Frauen und 25 Männer mithilfe der Bewässerungspumpe und Metallleitungen  mit Freude Baobabs,  Morenga, Kapok, Zwiebeln, Auberginen, Tomaten und regionales Gemüse an.

Bildung in Blindenschule, Kirchlicher Berufsschule und Kindergärten

Pfarrer Lucien Naré  hatte sein Augenlicht verloren. Da ergriff er die Initiative und gründete im Rahmen einer Einrichtung für behinderte Menschen eine Blindenschule. Dort arbeiten sechs – darunter auch sehbehinderte Lehrer_innen mit 80 Schülerinnen, die auch teilweise im Hause wohnen. Eine neue Braillemaschine ermöglicht neben Lehren und Lernen auch dem Pfarrer, die Bibel in Blindenschrift zu übersetzen und zu drucken. Der neue Klassenraum ist hell und luftig mit Ventilatoren: die Jahresspende 2021 der Wetzlarer Kirchengemeinde ermöglichte diese Investitionen.

812 Schülerinnen suchen inzwischen die Ausbildung im CPET in Koudougou; die kirchliche Berufsschule hat einen hohen Bildungsstandard. So wurden durch die Auszubildenden zwei neue Schulklassen für neue Berufe- Installateure und Maler/Anstreicher  gebaut, damit alle Platz finden. Es fehlt noch an Tischen und Stühlen. Große Sorgen aber quält das CPET: Ein Brunnen aus den 70er Jahren ist inzwischen kaputt. Zusätzlich aber braucht die Berufsschule dringend einen Tiefbrunnen, da das Grundwasser inzwischen auf 20 Meter gesunken ist. Kosten liegen bei etwa 10.600 Euro. Das dringend benötigte Auto der Schule ist nicht mehr zu reparieren. Ohne einen fahrbaren Untersatz aber kann der Betrieb auch zur Heranschaffung von Material nur notdürftig aufrecht erhalten bleiben. Das Gespräch mit dem Lehrerteam (60 Lehrer, davon 10 Frauen)  und dem Direktor Thomas Yameogo ließ sehr schnell ein starkes Team erkennen, das mit aller Kraft das hohe Niveau der Schule erhalten will. Ein Terrain für einen  Kirchenbau ist bereitet. “Wie wollen Schüler-und Lehrerschaft in der notwenigen Spiritualität im Leben unterstützen, so Direktor Yameogo. 60 Prozent der Schülerinnen sind Christen.

 

“Die Welt braucht Deine Arme, Deine Beine, Deinen Kopf und Dich ganz zur Veränderung der Welt“   Der Kindergarten Bethsaleel in Koudougou wurde vor 20 Jahren von TIKATO und der Burkinahilfe Koch aus Spenge (jetzt Berlin) finanziert als „Hilfe zur Selbsthilfe“. Der Empfang durch das seit 1981 mit Heidi Stiewink und Wilhelm Wilmers befreundete Ehepaar Sophie und Michel Kabre für die zwei TIKATOleute war herzlich wie immer und die Kinder überraschten durch kunstvoll dargebrachte Poesie, Modenschau, Tanz und traditionelle und christliche Gesänge: “Die Welt braucht Deine Arme, Deine Beine, Deinen Kopf und Dich ganz zur Veränderung der Welt“ sang ein Mädchen voller überzeugender Inbrunst. Diese Einstellung war in vielen Gesprächen und Projekten spürbar: Der eiserne Wille zur Veränderung für eine bessere Zukunft im vom Klimawandel und Terrorismus geschüttelten Sahelland.

Das Projekt Entbindungsstation in Tiguendalgue wurde von der Kreuzkirchengemeinde ins Leben gerufen und ist wahrlich ein Vorzeigeprojekt. 50 Prozent mehr als geplant kommen alljährlich von weither und inzwischen auch aus Ouagadougou ob der hohen Qualität. Desgleichen der Kindergarten: viele Spenderinnen aus den Regionen Wetzlar und Wettenberg haben den Bau ermöglicht. Die neue Mauer ist ein künstlerisches Augenmerk in der Region; neu gebaut werden soll eine Vorschulklasse und gebraucht werden Metall-Spielgeräte. Ein ganzes Dorfkomitee mit Benjamin Nietiema und die Familie des verstorbenen Projektpartners Michael Yanogo hatte sich zum Zukunfts-Gespräch mit Heidi Stiewink getroffen.

Die drei Kitas von Bernadette Kabre im Alter von null bis sechs Jahren sind etwas Besonderes in der Hauptstadt. Die Erzieherinnen dort haben eine Spezialausbildung durch die Pädagogin und Soziologin  Bernadette Kabre, Gründerin der „l`école maternelle“ in mehreren Sahelländern. Ab und zu werden sie von drei Familien aus Wetzlar, Düsseldorf, Hamburg und Göttingen unterstützt. Sie alle haben eine enge Beziehung zu TIKATO. Kabre beliefert kostenfrei auch die Kita in Tiguendalgue mit einer pädagogischen Bibliothek, um auch hier die Qualität der Einrichtung zu erhöhen.

Partner-Beistand in Krisensituationen.

Partnerschaft auf Augenhöhe: Eine ganz besondere Erfahrung machte das TIKATO-Team auf dieser Reise. Als Dr. Wilmers schwer erkrankte, ließen die Partner ihn keinen Tag außer Augen und organisierten alles für den Klinikaufenthalt und die weitere Versorgung bis zur geplanten Abreise. Gut beschützt fühlte sich auch Heidi J. Stiewink von den Freundinnen und den Partnern bei dem politischen Umsturz. Als dem Volksaufstand für mehr Sicherheit und gegen den Terrorismus  der Militärputsch folgte, die Regierung abgesetzt wurde und Flughafen und Grenzen um Burkina Faso gesperrt wurden, hatte Heidi Stiewink schon nachts die zahlreichen Schüsse gehört und wusste aus ihren langjährigen Erfahrungen, was das bedeutete. Kein Heimflug. Dann wartete an zwei Tagen je acht Stunden lang der ODE-Begleiter in einer langen Schlange bei 34 Grad im Schatten vor dem Air France-Büro, um endlich die Zusage eines verspäteten Flugs nach Frankfurt zu erreichen. Dass nachher doch noch alles sehr hektisch wurde und kein angemessener Abschied möglich war, lag nicht an ihm. Es war den sehr schwierigen Umständen geschuldet.

 

Autorin Heidi J. Stiewink, Fotos: Heidi J. Stiewink, ODE