Zu Beginn der 90er Jahre wurden in Deutschland kreiskirchliche Eintrittsstellen in Städten oder für eine Kommune im ländlichen Raum geschaffen. In der Evangelischen Kirche im Rheinland gab es Mitte der 90er Jahren nur in wenigen Großstädten eine solche Einrichtung. Man wollte Menschen, die nicht unbedingt die Amtsstube eines Pfarrers oder einer Pfarrerin aufsuchen wollten, ein niederschwelliges Angebot zum Eintritt machen. Das gelang auch in Wetzlar. Zu einer Eintrittsstelle für ehemals ausgetretene Christinnen und Christen begannen im Jahr 1994 die Überlegungen im kreiskirchlichen Öffentlichkeitsreferat der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar.
Ein kleiner Ladenpavillon mit gutem Buch- und Geschenk-Angebot an einem auch behindertenfreundlich zugänglichem Ort sollte es sein, mit einem geschützten Raum für bis heute immer wieder genutzte Seelsorgegespräche und einem Angebot an Menschen, die erneut Gemeinschaft in der Kirche durch ihren Wiedereintritt verwirklichen wollten. Dieser Ort wurde gefunden durch den gerade aktuellen Umbau des Gemeindehauses an der Hospitalkirche ins „Haus der Kirche und Diakonie“. Der kleine verglaste Raum wurde so augenscheinlich zu einem Kleinod und bis heute gerne besucht – nicht nur von Eintrittswilligen, sondern auch von Menschen, die das Gespräch suchen. Auch Touristen suchen immer wieder den Kontakt und verbinden dies auch mit einem Besuch der einzigen Barockkirche in Wetzlar, der Hospitalkirche. Der Kirchenpavillon ist bis heute der einzige kreiskirchliche öffentliche Ort, wo Menschen sich treffen und vernetzen und vielleicht auch Innovatives bewegen können.
Die Wiedereintrittsstelle benötigt keinen größeren Finanzrahmen: neben der Organisatorin im Verwaltungsdienst als „Geringfügig Beschäftigte“ wird der zwei bis vierstündige Dienst pro Tag von Pfarrerinnen und Pfarrern ehrenamtlich erfüllt. Pfarrer Björn Heymer erinnert sich auch heute noch immer gerne an die persönlichen und Dienstgespräche mit dem verstorbenen katholischen Dompfarrer Peter Kollas: „Wir haben uns an dem schön gestalteten Ort sehr wohl gefühlt. Während in den ersten Jahren vorwiegend ältere Menschen wieder den Weg zurück in die Kirche fanden, später allgemein generationsübergreifend, so sind es in letzter Zeit vor allem jüngere Menschen zwischen 30 und 55 Jahren.“
Neben all den Austritten in Deutschland kommen immer wieder Menschen, die zurückkehren möchten, um ihrem Glauben einen sichtbaren Ausdruck zu geben und Gemeinschaft zu erleben.
„Wieder eine christliche Gemeinschaft erleben und mit der Mitgliedschaft die Kirche stärken, die auch in Krisenzeiten viel Stabilität in der Gesellschaft gibt“ steht da als Argument oft im Vordergrund. So berichtet auf Anfrage der gerade wieder eingetretene Familienvater aus Hüttenberg, Endvierziger: „Ich bin gerne Mitglied einer evangelischen Landeskirche geworden, um durch meine bloße Zugehörigkeit und auch finanziell dazu beizutragen, dass die Landeskirche die Kraft behält, unsere Gesellschaft christlich zu prägen. Ich habe selbst früher sogar als Mitglied der Freikirche von den landeskirchlichen Kindergärten. Schulen, Krankenhäusern dem Religionsunterricht meiner Kinder und vieles mehr profitiert. Aufmerksam geworden durch das Plakat an der Wetzlarer Wiedereintrittsstelle konnte ich mich im Internet weiter informieren und den Schritt in die Landeskirche vollziehen.“
Andere Eingetretene bedauern im Gespräch, dass „viel zu wenig Menschen wirklich informiert sind, wieviel die Kirche am Menschen und in der Gesellschaft leistet“. Die Wiedereintrittsstelle berät Interessierte auch oft mit dem Ziel, dass sie direkt in ihrer Ortsgemeinde eintreten, vor allem, wenn ein Kontakt bereits besteht. Die in der Einrichtung Mitarbeitenden trösten auch Gesprächssuchende, wenn sie sich nicht wertgeschätzt oder auch vernachlässigt in ihrer Kirche gefühlt haben, oder deren „starre Vorgehensweisen“ missfielen und das neben der Einsparung der Kirchensteuer ein Austrittsgrund war. Dass man hohe Kirchensteuer auch durch die Kappung einsparen kann und deshalb nicht aus der Kirche austreten muss, ist vielerorts unbekannt.
Aber in den Gemeinden selber treten immer wieder Menschen ein, um die vielen seelsorglichen und diakonischen Aufgaben der Kirche solidarisch zu unterstützen – auch wenn sie sie vielleicht augenblicklich nicht persönlich benötigen, berichten Pfarrerinnen. Ein im Sommer in der Eintrittsstelle eingetretener Wetzlarer Vater von zwei jungen Leuten zum Beispiel, war begeistert vom an der Kreuzkirche seit vielen Jahren von Pfarrer Jörg Süß initiierten Kreis für junge Menschen. Es war ein starker Grund für ihn, aus der katholischen Kirche aus- und dort einzutreten.
Ein anderer junger Mann will mit seinem Wiedereintritt die Möglichkeit zurückerhalten, Taufpate zu werden. Er möchte zudem mit einem Schöffengrunder Pfarrer gemeinsam nun aus seinem Beruf heraus etwas „für das Selbstbewusstsein vor allem von Männern zu tun, damit sie auch nach außen ihren Glauben solide vertreten können“.
In der Diskussion um Kirchenaus- und wiedereintritte halten viele es für einen Grundfehler, Austritte bei der Kommune und nicht in der Kirche selber zu ermöglichen. Dann könne man doch eher in Gesprächen Menschen in ihren direkten Lebensbezügen erreichen und ihr Leben in den Fokus setzen mit dem Evangelium, so das Argument. Es gibt Themen, bei den Menschen gleichermaßen austreten, andere aber bewusst eintreten: Das zeigte sich zuletzt zum Beispiel bei dem ausschließlich durch Spenden angeschaffte Rettungsschiff Seawatch 4, das nun inzwischen schon knapp 500 Menschen vor dem Tod im Mittelmeer retten konnte. Für Viele eine urchristliche Pflicht!
Das Jubiläum „15 Jahre Wiedereintrittstelle“ ist bereits von Seiten Verantwortlicher mit einem Team in Planung. So soll ein musikalischer Festgottesdienst stattfinden, auch ein Tag der Offenen Tür mit einem Gesprächsabend. Die Einrichtung der Wiedereintrittsstelle wird vom 12.-14. November, 10-19 Uhr, im Forum Wetzlar präsentiert. Viele offene Fragen zur Kirche im Allgemeinen und im Besonderen können dann auch dort beantwortet werden, natürlich auch mit der Möglichkeit zum Wiedereintritt:
Wiedereintrittstelle des Evangelischen Kirchenkreises
Haus der Kirche und Diakonie
Langgasse 3, 35578 Wetzlar
Öffnungszeiten: Mo.: 10-12/15.30-17.30 Uhr; Di.-Do.: 10-12 Uhr; Fr.: 15.30- 17.30 Uhr;
Sa.: nach Vereinbarung
Weitere Informationen unter hstiewink@gmx.de und 0151 701 94375
Text und Foto Heidi. J. Stiewink